Barcelona für vier Monate

Barcelona für vier Monate

Montag, 26. Dezember 2016

Barcelona: Liebe auf den zweiten (oder dritten) Blick – Gerüche, Rooftop und gute Aussichten

Prägend für die katalanische Kunstszene: Joan Miró ("La botella de vino")

Jajaja, Barcelona ist toll, hab ich ja schon – mehrmals – gesagt (und nicht nur ich:-)). Aber eines muss ich hier vielleicht doch noch revidieren: Es war keinesfalls Liebe auf den ersten Blick. Vor einigen Jahren hat es mich zum ersten Mal – mehr aus Zufall – nach Barcelona verschlagen. Grund war ein zweiwöchiger Spanischkurs und da ich gerne was mit Meer haben wollte (und Mallorca schon kannte), fiel meine Wahl auf die katalonische Hauptstadt. 

Auf dem Weg durch Eixample zu meiner WG, in der ich die nächsten 13 Tage mit andern Spanischlernwilligen (und Feierfreudigen) verbringen sollte, fragte ich mich, warum Barcelona eigentlich so einen guten Ruf hat. Denn die Straßen sind in diesem Viertel nach einem städtebaulichen Planquadrat ähnlich wie in Mannheim angeordnet (also Schachbrett und das über viele Kilometer hinweg vom Westen bis zum andern Ende im Osten) und die Häuser größtenteils auch nicht gerade abwechsungsreich (sehr typisch: rote Ziegel und grüne Markise). Ausnahme: die Sagrada Família, das Langzeitkathedralenprojekt von Gaudí. Aber wer sieht sich schon jeden Tag eine Kathedrale an? Hinzu kam noch, dass mein kleines WG-Zimmer kein wirkliches Fenster hatte, sondern nur einen Spiegel, der sich zum Innenhof öffnen ließ (um dann v. a. Essensgeruch und Lärm der Nachbarn reinzulassen). Egal, es waren trotzdem zwei aufregende Wochen:-).

Beim nächsten Besuch wohnte ich in einer kleinen Pension im Barri Gòtic, dem ältesten Stadtviertel Barcelonas. Und dachte mir – im Dunkeln ankommend und durch düstere enge Gassen mit rollladenverbarrikadierten Schaufenstern und Müllbeuteln davor (und entsprechend strengem Geruch) laufend – wieder einmal: Wo ist eigentlich dieses schöne Barcelona?

Diese Frage beantwortet sich jedoch ziemlich schnell. Man muss ja nur bei Tageslicht durch die Gassen El Borns laufen, am Stadtstrand relaxen, zu einem Aperitivo im Chiringuito einkehren oder einfach in das Nachtleben eintauchen - schon kommt einem die Stadt nicht mehr düster-bedrohlich vor. Und natürlich die tollen Bewohner kennenlernen! Mögen die Katalanen auch nicht die offensten Bewohner der Iberischen Halbinsel sein (wie mir immer wieder – auch aus einheimischer – Quelle gesagt wurde), gewinnen sie an Sympathie, wenn man sich erstmal auf sie einlässt. Und der wilde Mischmasch aus internationalen Studenten, Expats und Touristen tun ihr Übriges für ein aufgeschlossenes Grundklima.

Aber das Prinzip des „zweiten Blicks“ ist mir immer wieder begegnet. Die schönsten oder interessantesten Orte sind oft versteckt („sitios escondidos“). Daher retrospektiv (nachdem ich nun schon wieder einige Zeit zurück in München bin) noch einige erlebenswerte Orte.

Hotelterrasse Catalonia Plaza: Ich LIEBE Rooftop-Bars – und in Barcelona gibt es davon jede Menge. Nicht immer jedoch sind sie für die „schnöde“ Allgemeinheit (also, wenn man kein Hotelgast ist) zugänglich. Mein Lieblingsplatz ist hier die Terrasse vom Hotel Catalonia Plaza an der Plaza Espanya (schickes Hotel hinter einer unscheinbaren Fassade sozialistischer Industrie-Ästhetik). Keine Ahnung, wie es hier mit Nichtgästen gehandhabt wird, aber wenn man durch den Haupteingang den Lift rechts in den achten Stock nimmt, kommt man unbehelligt zur Dachterrasse und hat einen herrlichen Ausblick auf Montjuïc – und sehr unstressig auf die Wasserspiele des Magic Fountain von Donnerstag bis Montag. 

Auch bei Tag toll
Und als Kontrast dazu: Die Happy-Grill-Bar im Einkaufszentrum Las arenas nebenan (von manchen genannt: "Bar feo")
Bar Cal Brut: heißt auf gut catalán „schmutziges Haus“. Mitten in El Born, dem trendigen Designerviertel, quetscht sich diese Bar unauffällig in die Carrer de la Princesa, die vom Parc de la Ciutadella zur verkehrsbewegten Via Laietana führt. Klein, eng, unprätentiös mit großem Kontaktpotenzial – und einer Glocke, die gnadenlos bei jedem Trinkgeld geläutet wird. Internationales Publikum und Kölschgrößen für lokales Bier („un quinto“ = 200ml) – mal ganz abgesehen von einer großen internationalen Bandbreite an Sorten.

Poble Sec: Eingebettet zwischen dem an manchen Ecken finster wirkenden El Raval, dem kleinen Stadtteil Sant Antoni, dem Wohnviertel Eixample und dem alles überragenden Hausberg Montjuïc (s. u.), ist das „trockene Dorf“ gerade dabei, sich vom Arme-Leute- zum In-Viertel zu mausern. Zum Glück ist es momentan noch nicht so angesagt, dass sich das auch schon in den Preisen bemerkbar machen würde. Hier sind die Mieten noch relativ human (WG-Zimmer ist locker für 350 bis 400 Euro zu haben – je nach Größe natürlich), ebenso wie die Preise in den (einfachen) Bars und Restaurants. Prachtbauten sind hier eher rar. „Bescheiden und doch völlig unvorhersehbar. (…) Vielversprechend, multikulturell, gelassen am Tag, manche Straßen lebhaft bei Nacht“ – besser als auf dieser Online-Plattform könnte ich es nicht beschreiben.



Eines der Highlights: Die Fiesta de Poble Sec - mit Deko und...
... und großem Straßenbarbecue (die Riesensteakstücke liegen noch unter der Pappe)
Alles rot: Nach der Fiesta ist vor der Fiesta
Und die Müllabfuhr macht mitternächtliche Siesta vor meinem Fenster (denn ums Eck gibt es die Tapasbar mit den längsten Öffnungszeiten in der Gegend)
Metro-Cafés: In Barcelona gibt es auch unterirdisch reges Leben – und zwar in den U-Bahnstationen. Hier tummeln sich einerseits jede Menge Musiker von unterschiedlicher Begabung (ich weiß nicht warum, habe aber den Eindruck, dass es da auch ein Ranking an den Haltestellen gibt und meine, am Hauptbahnhof Sants Estació die am wenigsten Begabten ausfindig gemacht zu haben). Andererseits hat jeder etwas größerer Umsteigeknotenpunkt ein oder mehrere Cafés. Das sind nicht nur – wie bei uns – Bäckerkioske, an denen es Gebäck und Coffee to go gibt. Hier gibt es tatsächlich Sitzplätze wie in einem „richtigen“ Café und nicht wenige Passanten, die auf einen Cortado (vergleichbar mit einem Espresso Macchiato), ein Bocadillo (belegtes Baguette) oder einen Carajillo (Espresso mit Alkohol, gerne auch zum Frühstück) vorbeikommen, einen Schnack mit der Bedienung halten oder sich mit dem Sitznachbarn über die katalonische Politik aufregen.

Am Wochenende geschlossen: Die Metro-Bars zielen unter der Woche vor allem auf die berufstätige Laufkundschaft
Für Musiker gibt es in den Metrostationen dezidierte Plätze

Avinguda Mistral: Eine der wirklich sehr seltenen Straßen ganz ohne Autoverkehr ist die Avinguda Mistra, die sich diagonal durch Eixample bis zur Plaza Espanya zieht. Hier gibt es jede Menge Cafés, Restaurants und Eisdielen und es lässt sich prima im Sommer mindestens bis 23 Uhr draußen sitzen - ganz ohne Hektik und Straßenlärm. Spielplätze nebenan sorgen dafür, dass auch Eltern ihre Sprösslinge mal eine Weile sich selbst überlassen und den lauen Sommerabend genießen können.

Begegnung der Generationen

Montjuïc (gesprochen „Montwick“, hat nix mit Saft zu tun:-): Über den Hausberg von Barcelona habe ich schon mehrmals – in verschiedensten Zusammenhängen – geschrieben. Hier in München würde man den 173 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Berg wohl eher als „Hügel“ belächeln. Tatsächlich reicht er an Höhe nicht einmal an den gegenüberliegenden Tibidabo (512 Meter) heran – und das ist immer noch niedriger als der Münchner Olympia(haus)berg mit 565,1 Metern. Trotzdem ist er von nicht geahnter ambivalenter Schönheit. Und der „Kleine“ hat es in sich: Schauplatz der Weltausstellung 1929 und der Olympischen Sommerspiele 1992 sowie bis heute zahlreicher Großkonzerte und eines der schönsten Open-Air-Kinos. Ich habe hier Yann Tiersen im Teatre Grec live gesehen und, wenn man mal von den schweißstauenden Plastikschalensitzen im Amphittheater absieht, war es grandios. Habe unzählige Sonntagabende dem Lichterspektakel an der Plaza Espanya von der Terrasse des Museu Nacional d’Art de Catalunya (MNAC) beigewohnt. Warum ambivalente Schönheit? Diesen Sommer war der Hausberg, dessen Ausläufer hinter meiner Unterkunft anfangen (also im besten Sinne „Hausberg“) mein Joggingterrain. Und da musste ich leider feststellen, dass er sich nicht wirklich gut dafür eignet insofern, als sich Straße und Stufen abwechseln. Aber die Aussicht entlohnt umso mehr!


Immer gut für Fotos: Die Terrasse des MNAC
... selbst mit Wolken
Ein Highlight: das Piscina Municipal de Montjuïc
Auch sehenwert: Die Fundació Joan Miró

Gin-Bar: In Barcelona gibt es einige Bars, die sich (mehr oder weniger) vollkommen einer einzigen Spirituose verschrieben haben. Und in der katalonischen Hauptstadt ist der Gin Tonic ganz weit vorne. Jede Bar, die was auf sich hält, offeriert nicht nur diverse Sorten des Wacholderschnapses, sondern auch verschiedene Tonics und Varianten des Mixgetränkeklassikers (bspw. mit Beeren, Gewürzen etc.). Eine der besten Locations ist die XiXbar ganz bei mir ums Eck in der Carrer Rocafort (nähe U-Bahn Poble Sec). Stylisch eingerichtet im dezenten 80er-Jahre Ambiente gibt es hier einfach alles – von „normalen“ Gin-Tonic-Longdrinks, über Gin-Cocktails bis hin zu flavoured Gins etcetc. Ich habe hier überhaupt erst einmal jemanden Bier trinken sehen…


Gin as Gin can
Für Leute, die Rum dem Gin vorziehen, gibt es die Roneria, eine kleine Bar ebenfalls in Poble Sec angesiedelt. Das Special-Angebot: Für Gäste, die eine (hausgemachte) Rumspezialität bestellen, gibt es einen zum Probieren aufs Haus. Motto: „La ginebra es para caballeros ... el ron es para piratas!“ Gin ist für Gentlemen, Rum für Piraten!

Und – last but not least: Nicht nur für Franzosen mit Heimweh lädt die winzige Pastis-Bar nahe der Ramblas (U-Bahn Drassanes) zum Anisgetränk mit Live-Musik. Mal wieder ohne Eintritt, sehr heimelige, intime Atmosphäre – allerdings im Sommer angesichts der Größe (bzw. Kleine) mit deutlichem Frischluftmangel.

PS: Da fällt mir doch gerade noch das Absenta del Raval ein, das in der Aufzählung auf keinen Fall fehlen darf und – ab und an – unangekündigt – auch Live-Musik bietet. Ach so, und es gibt natürlich Absinth:-)


Festival Esperanzah: In El Prat, am Rande des Flughafens, versammelt sich die alternative Szene Barcelonas einmal im Jahr zum World-Music-Festival Esperanzah. Hier spielen lokale Größen zu humanen Preisen (Tagesticket 12 Euro!), aber auch über Spanien hinaus bekannte Bands – initiiert wurde das Ganze von niemand Geringerem als Manu Chao! Wie so oft haben mir hier Barcelonas berühmt-berüchtigte Handydiebe einen Strich durch die Rechnung gemacht – daher gibt es leider keine Fotos. Werde nächstes Jahr nochmal nen Versuch starten:-).

So, das war’s erstmal wieder. Ich sage bewusst nicht wieder, das Beste am Schluss – denn das war sicher auch diesmal nicht das letzte MalJ. Stay tuned und hasta luego!